International Youth Nuclear Congress 2018 in Argentinien

Berlin, 11.03.2018

Argentinien ist das Land des Tangos, der Gauchos, von Rindfleisch und Wein so das Cliché. Kernreaktoren gehören da kaum dazu. Als Melina Belinco das 1995 von Maela Viirso gegründete WiN Chapter in Argentinien wieder belebte, wollte sie die Atomforschung Argentiniens international zeigen und so traf es sich gut, dass der International Youth Nuclear Congress 2018 in Argentinien geplant war. Die Zusammenarbeit der Frauen mit den Jungen führte zu einer inspirierenden Konferenz in Bariloche. Dort ist neben Schokolade der Nuklearsektor äußerst wichtig. Junge Frauen und Männer werden seit 1955 im Instituto Balseiro ausgebildet. Der Kongress vermittelte nicht nur viel Wissenswertes über Kerntechnik heute. Er beleuchtete auch die Entwicklung der „Small Modular Reaktors“ (SMR) und in der Ausstellung neben den zahlreichen Postern von Teilnehmenden auch den Entwicklungsstand der vier Reaktoren in Barakah (VAE) sowie die Vielfalt der chinesischen Kernforschung.

Die Länderreports wurden gemeinsam von WiN und IYNC erarbeitet und mehrheitlich auch gemeinsam präsentiert. Das Kongressprogramm war sehr umfangreich und die Qual der Wahl der zahlreichen technischen Vorträge, die parallel – teilweise an drei verschiedenen Orten stattfanden – war oft schwierig.

Unter Gabi Voigt's (WiN Global Präsidentin seit 2016) speditiver Leitung fand die WiN-Generalversammlung statt, wo ihre Vorgängerin Se-Moon Park den WiN Honorary Award entgegennehmen durfte. Der WiN Award ging an Professor Carla Notari, Argentinien. Mehrere Mentoring Workshops hatten zum Ziel, junge Frauen zu motivieren, sich selbstbewusst für eine Karriere in der Nukleartechnik zu bewerben.

Die begleitenden Besichtigungen zeigten die Geschichte der argentinischen Nuklearforschung hautnah auf: Schon 1948 überzeugte ein Doktor Richter den damaligen Präsidenten Perón von seinen Plänen, einen Fusionsreaktor zu bauen. Auf der Isla Huemul, im See von Bariloche, entstand ein geheimes Fusions-Forschungsinstitut. 1951 verkündete Perón, dass „eine kontrollierte thermonukleare Reaktionen auf technischer Skala“ erzielt wurde. Doch der Durchbruch blieb aus und Perón drehte den Geldhahn zu. Was tun mit den teuren Einrichtungen? Jemand überzeugte ihn, ein Labor für Kernspaltung (Centro Atomico) und ein Institut für Nukleartechnik (Instituto Balseiro) zu gründen.

Zusätzlich gibt es die privatwirtschaftlich organisierte Firma INVAP, die im Besitz der Provinz Rio Negro ist. Das Unternehmen hat eine interessante Geschichte. Gegründet wurde es zur Entwicklung von Forschungsreaktoren und zur Produktion von medizinischen Isotopen. Dies wurde zu einem Verkaufsschlager: Südlich von Sydney in Australien – Veranstaltungsort der WiN Global Conference 2014 – liegt das Kernforschungszentrum ANSTO. Das Institut hatte damals eben den „Opal“, einen Swimmingpool- Reaktor, in Betrieb genommen. Er dient als Neutronenquelle für physikalische Forschungsprojekte, aber auch zur Herstellung von Mo-99, das in der medizinischen Diagnostik eine wichtige Rolle spielt. Dies ist einer von vielen Forschungsreaktoren unterschiedlicher Leistung, die bei INVAP entwickelt und gebaut wurden. Deren Entwicklung ist bemerkenswert. Man ist davon weggekommen, stark angereichertes Uran zu verwenden und begnügt sich jetzt mit 19,7 %. Argentinien hat Forschungsreaktoren nach Ägypten, Algerien, Australien, Bolivien, Kuba, Iran, Peru und Saudi-Arabien geliefert und landete kürzlich einen weiteren Verkaufserfolg in Petten, Holland!

Wie an vielen Orten der Welt ist das politische Klima für Kernenergie auch in Argentinien volatil. Deshalb baute INVAP ein zweites Standbein in der Weltraumtechnik auf. Diese Sparte ist heute fast wichtiger als der Nuklearbereich.

Natürlich baute INVAP auch den RA-6 Reaktor für das  staatliche Centro Atomico in Bariloche. Er wird zu Schulungszwecken genutzt. Hier werden Reaktoroperateure ausgebildet. Argentinien hat für die spanischsprachige Welt auf diesem Gebiet ein „Quasi-Monopol“. Im Zeitalter der Digitalisierung geht das Centro hier neue Wege: Über einen separaten Kontrollraum, der gegen Cyber-Attacken geschützt ist, können Studierende lernen, den Reaktor zu „fahren“ ohne nach Bariloche reisen zu müssen. Sie sitzen in ihrer Heimat am Simulator und arbeiten über das Internet.

Neben Forschungsreaktoren hat Argentinien schon früh angefangen, Kernkraftwerke zu entwickeln. Der Markt für angereichertes Uran war damals von den USA beherrscht und streng reguliert. Um eine Abhängigkeit zu vermeiden, beschloss man, Natururan als Brennstoff zu verwenden und lieber das Wasser anzureichern und Schwerwasser (Deuterium) als Moderator zu nutzen. Die Wasseranreicherungsanlage hat damals die Schweizer Firma Sulzer geliefert. Die US-Regierung versuchte dies mit allen Mitteln zu verhindern – vergeblich. Heute verfügt Argentinien über drei Kernkraftwerke, alle vom Schwerwassertyp. In Atucha, unweit von Buenos Aires stehen zwei KKW von KWU/Siemens, in Embalse ein kanadischer CANDU.

Das Centro Atomico beteiligt sich auch an der Entwicklung der Reaktoren der Zukunft: Klein und modular. Die argentinische Variante heißt CAREM und ist wie die meisten SMR „integriert“, das heißt, alle druckhaltenden Elemente wie Wärmetauscher und Druckhalter befinden sich im Reaktordruckbehälter. Der Primärkreislauf kommt ohne Pumpe aus und wird durch Konvektion angetrieben. Der Prototyp soll 32 MWe leisten. Zurzeit ist er in Atucha im Bau. SMR profitieren nicht von der „Economy of Scale“ der Großreaktoren. Sie kompensieren das durch die geringe Menge an Hochdruck-Installationen.

Man kann nur wünschen, dass die Zusammenarbeit der Jungen und der Frauen in allen Ländern weitergeführt wird. Hoffentlich bleibt es nicht bei diesem einen gemeinsamen Kongress! Die Kernenergie braucht weltweit junge Frauen und Männer für zukünftige neue, inhärent sichere Reaktoren, aber auch für den sicheren Betrieb der heutigen KKW. Zusätzlich müssen die Ängste vor Radioaktivität – gerade von Frauen – angesprochen und abgebaut werden. Ohne den Einbezug der fast CO2-freien Kernenergie ist der Klimaschutz nicht erreichbar!

Irene Aegerter doktorierte nach ihrem Physikstudium am Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung, heute PSI. Sie war Vizedirektorin des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), gründete den Verein Frauen für Energie in der Schweiz und war Gründungsmitglied des weltweiten Netzwerkes „Women in Nuclear“ (WiN) sowie Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Sicherheit der Kernanlagen und Vize-präsidentin der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften.  

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